Entstehung
der Jugend-KZ

Jugend-KZ Moringen
Jugend-KZ Uckermark

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Nachbetrachtungen
Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten vom Januar 1933 offenbarte die deutsche Fürsorge ihre Anfälligkeit für den rassistischen und todbringenden Paradigmenwechsel in der Sozialpolitik des NS-Systems. Die Profession war einerseits ihrer kritischen und Reform orientierten Köpfe schon früh beraubt worden, denn die neuen Machthaber gingen mit Mitteln der politischen Einschüchterung, mit Berufsverboten und Vertreibungen (v. a. der jüdischen Kolleg/innen) gegenüber der widersprechenden und widerstehenden Kollegenschaft vor. Andererseits veränderte und verlagerte die Fürsorge in Eigenregie ihr bereits seit langen Jahren – durch die Eugenik- und Rassehygiene-Debatten der 1920er und 1930er Jahre – korrumpiertes Menschenbild vollends. Man negierte nun die verallgemeinerbare Menschenwürde für die Klienten und lieferte das professionelle Unterfutter für den utilitaristischen Umbau des Staates, d. h. für die Klassifizierung der Fürsorgempfänger nach ihrer gesellschaftlichen Brauchbarkeit und ihrem Nutzen für die propagierte „Volksgemeinschaft“. Vertreter/innen der deutschen Fürsorge haben in Heimen, in Landesjugendämtern und in den Fürsorgeverbänden ihren wesentlichen „Beitrag“ zur „Ausmerze“-Politik des nationalsozialistischen Staates geleistet: Sie regten die Sterilisierungen unzähliger Fürsorgezöglinge an. Sie schlugen die Haft in den Jugend-KZ vor und begründeten dies in ausführlicher und „revisionssicherer“ Berichterstattung. Sie wirkten als Fürsorgeinstanzen an den Verfolgungsmaßnahmen gegenüber jüdischen Kindern, jungen Sinti und jungen Zeugen Jehovas und gegenüber den als „asozial“ klassifizierten Frauen, Männern, Kindern und Jugendlichen nachweislich mit. Die deutsche Fürsorge entledigte sich einer Klientel, die sie selbst als „gemeinschaftsfremd“ definierte. Mit der Hinwendung zur rigorosen Aufspaltung der Klienten in förderungswürdige „gemeinschaftsfähige Volksgenossen“ und auszusondernde „Gemeinschaftsfremde“ entsprachen viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der deutschen Fürsorge den ihnen vom faschistischen System zugewiesenen Aufgaben bereitwillig. Sie verweigerten den Betroffenen mit dem Hinweis auf „Rassefremdheit“ oder „minderwertige Erbanlagen“ konkrete Unterstützungsleistungen und fürsorgerische Hilfen. In ihren pädagogischen Arbeitszusammenhängen wurden sie zu Handlangern faschistischer Anpassungs- und Disziplinierungsmethoden, wobei man Jugendliche, die man nicht zu „brechen“ vermochte, in die totale Institution „Jugendschutzlager“ abschob und somit auch die Lagerhaft unter SS-Gewalt als opportunes „Erziehungsmittel“ anerkannte.

Zu den Fragen der Kontinuität und Diskontinuität in der Sozialarbeit ist festzuhalten, dass die beiden Jugend-KZ im ersten Nachkriegsjahrzehnt zum Gegenstand der Diskussionen um eine nun erneut angestrebte „Bewahrung“ Jugendlicher in speziellen Einrichtungen wurden. Daran beteiligten sich vor allem auch solche Beamtinnen und Beamte, die während des Nationalsozialismus für die Ausgestaltung der Haft in Moringen und Uckermark verantwortlich zeichneten – wie zum Beispiel Friedericke Wieking, ehemalige Leiterin der Weiblichen Kriminalpolizei beim RKPA. Wieking negierte gezielt den tatsächlichen Charakter der Lagerhaft und die Lebensumstände der betroffenen Mädchen und Jungen. Das taten auch die ehemaligen Aufseherinnen und Aufseher aus Reihen der SS in den entsprechenden Nachkriegsprozessen gegen die Einsatzkräfte der Lager. Vor dem Hintergrund professioneller Kontinuitäten im Bereich der Justiz und der Polizei – Ministerial- und Justizbeamte gingen weitgehend nahtlos in die neuen bundesrepublikanischen Dienststellen über – fallen besonders die Publikationen zu Fragen des Jugendstrafrechts auf, in denen Bedeutung und Ausgestaltung der „Jugendschutzlager“ im NS-Staat völlig verzerrt dargestellt und als Ausgangsbasis für die Bestrebungen einer so genannten „Sicherungsverwahrung für Jugendliche“ herangezogen wurden. Ferner dachte man auch in Fürsorgekreisen wieder laut über die Ausgrenzung „schwererziehbarer“ Minderjähriger aus der Fürsorgeerziehung nach und entwickelte neue Konzepte für deren Ghettoisierung und weitere „Behandlung“. Nicht nur diese Aspekte verweisen darauf, dass es mit dem Datum des 08.05.1945 auch für die Sozialarbeit/Sozialpädagogik keine vermeintliche „Stunde Null“ gegeben hat, sondern dass die historische Entwicklung des bundesrepublikanischen Sozialstaates vor dem Hintergrund personeller Kontinuitäten und der Langlebigkeit tradierter sozialer Normen – über die Jahrhundertwende, über die Weimarer Republik und den NS-Staat hinweg – betrachtet und analysiert werden muss.