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Kampf ums Leben
Den von der KZ-Haft in Moringen betroffenen Jugendlichen blieb kein Spielraum für die Entfaltung und Entwicklung der eigenen Persönlichkeit. In einer wichtigen Entwicklungsphase - teilweise noch in der Pubertät - wurden sie durch die Haft aus ihren Lebenszusammenhängen gerissen, im Lageralltag ihres Namens beraubt und zu bloßen Lagernummern degradiert. Vom frühmorgendlichen Wecken bis zum abendlichen Einschluss im Schlafsaal oder der Baracke waren die Jungen der ständigen Beanspruchung, den andauernden Leistungsanforderungen, der permanenten Reglementierung und Bestrafung unterworfen. In immerwährender Erwartung etwaiger Sanktionen und Strafen führten die Lebensumstände zu dauerhaftem psychischem und physischem Streß, dem sie allenfalls im nächtlichen Schlaf für wenige Stunden entkommen konnten. Noch in der körperlichen Entwicklung begriffen, völlig verängstigt und dem Lagerleben hilflos ausgesetzt, waren die Jungen die Manövriermasse der SS. Das Blocksystem, ein ausgeklügeltes Melde- und Strafsystem sowie die Übertragung von Aufgaben als Lager-, Block- oder Tischältester dienten unter anderem auch dazu, die Häftlinge zu kontrollieren und gegeneinander auszuspielen. So kann - neben der jeweils sehr unterschiedlichen Herkunft und Vorgeschichte der Jungen - von einer homogenen „Häftlingsgesellschaft“ im Jugend-KZ Moringen auch nicht gesprochen werden. Solidarität und Freundschaft waren Überlebensmechanismen, die sich weitgehend auf die Kleingruppe beschränkten. Einige Häftlinge versuchten, sich durch Denunziationen oder Hilfsdienste für die SS Erleichterungen und Vorteile im Lagerleben zu verschaffen. Für andere Jungen wurden Selbstverstümmelungen und Selbstmordversuche zum verzweifelten Mittel, um der unerträglichen Haftsituation zu entkommen. Häftlingskleidung aus einfachstem Drillich und die Holzschuhe schützten im Herbst und Winter nicht. Aufgrund der mangelhaften Verpflegung und der schlechten Lebensbedingungen in ungeheizten Schlafsälen und Lagerbaracken traten zunehmend Erkrankungen auf: Ruhr, Typhus und Tuberkulose. Aber auch von Diphtherie, Hepatitis, Hautausschlägen und Blasenerkrankungen wurden die Jungen gequält. Um die weitere Ausbreitung der TBC im Lager zu verhindern und die Arbeitskraft der verbleibenden Häftlinge zu sichern, verlegte die SS die erkrankten Häftlinge in ein TBC-Heim nach Benninghausen bei Paderborn. In verheerendem Zustand dort ankommend - körperlich völlig ausgezehrt und mit erheblichem Untergewicht - starben dort allein 24 Häftlinge des Jugend-KZ. Im Lager selbst kamen mindestens 55 Jugendliche ums Leben, vorwiegend durch die Folgen der widrigen Lebensumstände, die durch Unternährung bedingten Krankheiten und durch Selbstmord. 4 Jugendliche starben bei Verkehrsunfällen auf dem Weg zum Arbeitseinsatz, 4 wurden durch Erschießung hingerichtet bzw. „auf der Flucht erschossen“, ein weiterer starb unter ungeklärten Umständen im Göttinger Krankenhaus. Dies sind allein die durch Aktenmaterial belegbaren Todeszahlen. Gleichwohl berichten ehemalige Häftlinge von weiteren Todesfällen, die in keiner Liste registriert sind. Nicht zu rekonstruieren ist auch, wie viele Jugendliche auf dem Marsch bei der Auflösung des Lagers Moringen - Anfang April 1945 - starben. Aufgrund der bis heute ungesicherten Quellenlage lassen sich also keine exakten Angaben über die genaue Zahl der Todesopfer treffen. Es ist aber davon auszugehen, dass jeder zehnte Jugendliche das Terrorsystem des Lagers Moringen nicht überlebt hat. Die seelischen und körperlichen Dauerschäden der überlebenden Opfer sind nicht zu ermessen.


Das Gräberfeld von 55 jugendlichen KZ-Opfern auf dem heutigen
Friedhof in Moringen