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Haftgründe
Eine weitere, größere Häftlingsgruppe im Lager bildeten die jungen Frauen, denen in der Fürsorgeerziehung neben weiteren Auffälligkeiten vor allem ein Fehlverhalten im Bereich ihres Sexuallebens attestiert wurde. Die Beurteilungskategorie „sexuelle Verwahrlosung“ - seit Jahrzehnten die zentrale Thematik in der Arbeit der deutschen Fürsorge gegenüber Mädchen - geriet im Nationalsozialismus in Symbiose mit dem Selektionskriterium der „Unerziehbarkeit“ zur tödlichen Bedrohung für die betroffenen Mädchen. Den ideologisch vorgegebenen Geschlechterrollen und dem Ideal der „deutschen Hausfrau und Mutter“ nicht entsprechend, wurden Prostitution und wechselnde Sexualpartnerschaften von Mädchen nunmehr als „moralischer Schwachsinn“ definiert. Außereheliche und selbstbestimmte Sexualität einerseits negierend, andererseits etwaig notwendig werdende fürsorgerische Hilfen ausschließend, boten Fürsorge und nazistischer Verfolgungsapparat ihre gesamten Ermittlungstechniken zur Aufdeckung sexuell abweichenden Verhaltens auf und offenbarten gleichzeitig eine perfide Doppelmoral, die allein das weibliche Verhalten zum Verfolgungsgegenstand machte und die Rolle der männlichen Geschlechtspartner gleichwohl außer acht ließ. So beantragte beispielsweise das Jugendamt Ratibor am 14.09.1944 die Inhaftierung von Franziska B., 1924 geboren, in Uckermark. Am 09.02.1943 aus der Fürsorgeerziehung entlassen, hatte die Jugendliche eine Arbeitsstelle als Hausangestellte kurzfristig verlassen. Nach dem Verlust drei weiterer Arbeitsstellen und einer Vorstrafe wegen Diebstahls fiel die junge Frau dem Jugendamt wegen einer Geschlechtserkrankung auf. Die weiteren Ermittlungen ergaben, „...dass Franziska B. wechselnden Männerverkehr hat. Die Hauswirtin meldet, dass zu verschiedenen Tagesstunden immer wieder andere Soldaten und auch Zivilpersonen die Minderjährige besuchen.“ Der Antrag auf Unterbringung in Uckermark wurde folgendermaßen begründet: „... sodass die Minderjährige eine grosse sittliche Gefahr für ihre Umwelt bedeutet, und zumal auch Wehrmachtsangehörige bei ihr aus und ein gehen auch eine Gefährdung und Schädigung der Wehrmacht vorliegt.“ Die wohl größte Zahl der Häftlinge stellten die Mädchen, die wegen „Geschlechtsverkehrs mit fremdvölkischen Staatsangehörigen“ und per Schutzhaftbefehl der Gestapo verhaftet worden waren. Aus diesem Grund wurde die 1923 geborene Liesbeth S. zunächst in der „Landesarbeitsanstalt“ Breitenau interniert. Am 14.03.1942 erfolgte die Anordnung der Schutzhaft und am 02.11.1942 die Überstellung in das Jugend-KZ Uckermark. Wie in Moringen,
so waren die Haftgründe auch im Jugend-KZ Uckermark äußerst vielschichtig
und reichten von pädagogischen Bankrotterklärungen („Unerziehbarkeit“,
„Renitenz“, Kriminalität, „sexuelle Verwahrlosung“) bis zum Vorwurf der
„Arbeitsverweigerung“, „Arbeitsbummelei“ oder „Sabotage“. Unter Federführung
des Referates „Weibliche Kriminalpolizei“ beim RKPA inhaftierte die deutsche
Polizei aus eugenischen (Behinderte, Zwangssterilisierte) und rassischen
Gründen. So verweisen diverse Aktenunterlagen und zudem auch die Aussagen
ehemaliger Häftlinge des Lagers darauf, dass in größerer Zahl auch junge
Sintezza und als „Judenmischlinge“ verfolgte Mädchen in Uckermark inhaftiert
wurden.
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